7. Mai 2025
Er (Janusz Korczak, RM) fordert als einer der ersten Pädagogen weltweit eine Art Grundgesetz für das Kind, die Magna Charta Libertatis. Darin steht ganz oben: „Das Recht des Kindes auf Achtung“. Diese Pädagogik kann er ab 1912 in die Praxis umsetzen. Ihm wird die Leitung eines jüdischen Waisenhauses angeboten. Korczak zögert keinen Augenblick, nimmt an und gibt den Arztberuf auf.
Bis zum deutschen Überfall auf Polen 1939 ist das „Dom Sierot“ in der Krochmalna Straße 92 in Warschau eine Vorzeigeeinrichtung. Die Kinder bestimmen gemeinsam die Hausregeln, haben sogar eine Art Parlament und Gericht. Dann wird das Waisenhaus 1940 in das Warschauer Ghetto umgesiedelt, wo mehr als 400.000 jüdische Menschen auf engstem Raum eingesperrt sind.
Janusz Korczak, wie er sich jetzt nun auch offiziell nennt, kümmert sich verzweifelt um Nahrung und sauberes Wasser und versucht, die Kinder spielend abzulenken. Im Sommer 1942 umstellen deutsche Soldaten das Waisenhaus, um die 200 Kinder ins Vernichtungslager Treblinka zu deportieren. Obwohl Korczak wegen seines Alters und seiner Bekanntheit verschont werden soll, begleitet er freiwillig den Transport. „Der eine liebt Karten. Der andere lässt kein Pferderennen aus und ich liebe Kinder.“
Er lässt die Kinder gute Kleider anziehen, verspricht eine Reise ins Grüne und nimmt ihnen auch durch seine Anwesenheit jegliche Angst. Daran hält er auch vor und in der Gaskammer fest. Zeitzeugen berichten, dass die Kinder und er singend in den Tod gegangen seien. Sein offizieller Todestag wird später auf den 7. August 1942 datiert.
Von Ronald Feisel, Schleswig Holsteinischer Zeitungsverlag
Die Kinder von Izieu
Sie war’n voller Neugier, sie war’n voller Leben,
Die Kinder, und sie waren vierundvierzig an der Zahl.
Sie war’n genau wie ihr, sie war’n wie alle Kinder eben
Im Haus in Izieu hoch überm Rhônetal.
Auf der Flucht vor den Deutschen zusammengetrieben,
Und hinter jedem Namen steht bitteres Leid,
Alle sind ganz allein auf der Welt geblieben,
Aneinandergelehnt in dieser Mörderzeit.
Im Jahr vierundvierzig, der Zeit der fleiß’gen Schergen
Der Spitzel und Häscher zur Menschenjagd bestellt.
Hier wird sie keiner suchen, hier oben in den Bergen,
Die Kinder von Izieu, hier am Ende der Welt.
Joseph, der kann malen: Landschaften mit Pferden,
Théodore, der den Hühnern und Küh’n das Futter bringt,
Liliane, die so schön schreibt, sie soll einmal Dichterin werden,
Der kleine Raoul, der den lieben langen Tag über singt.
Und Elie, Sami, Max und Sarah, wie sie alle heißen:
Jedes hat sein Talent, seine Gabe, seinen Part.
Jedes ist ein Geschenk und keines wird man denen entreißen,
Die sie hüten und lieben, ein jedes auf seine Art.
Doch es schwebt über jedem Spiel längst eine böse Ahnung,
Die Angst vor Entdeckung über jedem neuen Tag,
Und hinter jedem Lachen klingt schon die dunkle Mahnung,
Daß jedes Auto, das kommt, das Verhängnis bringen mag.
Am Morgen des Gründonnerstag sind sie gekommen,
Soldaten in langen Mänteln und Männer in Zivil.
Ein Sonnentag, sie haben alle, alle mitgenommen,
Auf Lastwagen gestoßen und sie nannten kein Ziel.
Manche fingen in ihrer Verzweiflung an zu singen,
Manche haben gebetet, wieder andre blieben stumm.
Manche haben geweint und alle, alle gingen
Den gleichen Weg in ihr Martyrium.
Die Chronik zeigt genau die Listen der Namen,
Die Nummer des Waggons und an welchem Zug er hing.
Die Nummer des Transports mit dem sie ins Lager kamen,
Die Chronik zeigt, daß keines den Mördern entging.
Heute hör‘ ich, wir soll’n das in die Geschichte einreihen,
Und es muß doch auch mal Schluß sein, endlich, nach all den Jahr’n.
Ich rede und ich singe und wenn’s sein muß, werd‘ ich schreien,
Damit unsere Kinder erfahr’n, wer sie war’n:
Der Älteste war siebzehn, der jüngste grad vier Jahre,
Von der Rampe in Birkenau in die Gaskammern geführt.
Ich werd‘ sie mein Leben lang sehen und bewahre
Ihre Namen in meiner Seele eingraviert.
Sie war’n voller Neugier, sie war’n voller Leben,
Die Kinder, und sie war’n vierundvierzig an der Zahl.
Sie war’n genau wie ihr, sie war’n wie alle Kinder eben
Im Haus in Izieu hoch überm Rhônetal.
Aus „immer weiter!“, 1994
Foto © Maison d’Izieu