Eine Erzählung von Hella Mey
Vor ein paar Tagen traf ich mich mit meiner Freundin in einem Frühstückscafé. Am Nebentisch unterhielten sich drei junge Frauen, Mitte 20/Anfang 30, über ihre Erfahrungen mit Dating-Portalen, über Männer, die sie nach kurzem Hin- und Herschreiben „ghosten“ würden, die alle oberflächlich und unzuverlässig wären. Manche wollten nicht lange quatschen, brächen den Kontakt schnell ab. Bis zu einem Date käme es meist nicht, und wenn, endeten die Treffen immer enttäuschend, und das, obwohl sie doch ganz genau auf Übereinstimmungen achteten, Äußeres, klar, Fotos, Beruf, Hobbies, Vorlieben, bis zur Lieblingsspeise. Viele schrieben jetzt aber auch, dass sie polyamorös seien, also zu ihrer Partnerin noch andere Menschen für „Ethical Non-Monogamy“ suchten. Fremdwörter für uns, fremde Welt.
Während wir unseren Filterkaffee tranken, ja, den gibt’s noch in unserem Kaffeehaus, heiß und schwarz, staunten wir über die Probleme der jungen Frauen, rümpften wohl auch ein wenig die Nase, sowas käme für uns überhaupt nicht in Frage, o Gott, so geht das doch nicht mit dem Verlieben.
Da fiel mir eine Geschichte ein, die mir passierte als ich 18, 19 war. Ich las damals gern die Jugendzeitschrift Twen, schnitt die tollen Fotos aus, junge Frauen, keine professionellen Models, die ich unglaublich interessant fand und die ich in meinem Zimmer an die Wand hängte, übersetzte für mich Leonard Cohen’s Lied „Suzanne“, das eines Tages abgedruckt war, ich glaube, zu diesem Text mit einem Foto von David Hamilton, den ich auch mochte, obwohl er wegen seiner impressionistischen „erotischen“ Mädchenfotos später in der Kritik war. Zu der Zeit war mein feministischer Blick wohl noch nicht besonders geschärft, ich fand die Bilder kunstvoll und schön.
Eines Tages gab es in der Zeitschrift einen Hinweis auf ein Projekt, bei dem versucht werden sollte, Paare zusammenzufinden, die eine hohe Übereinstimmung im Wesen und ihren Vorlieben hätten. Es gab in dem Heft einen Fragebogen, den man ausgefüllt an den Verlag zurücksenden konnte, der einem dann nach der Auswertung einen passenden Partner nennen würde. Ich kann mich nur noch schlecht erinnern, es ging um Lieblingsliteratur, ob man gern bei offenem Fenster schläft oder nicht und ob man lieber duscht oder badet. Ich war nicht auf Männersuche, aber sehr neugierig und machte mit.
Nach einiger Zeit bekam ich tatsächlich einen Brief mit Adressen von verschiedenen Kandidaten. Einer meldete sich bei mir und wir verabredeten uns. Ich würde vorm Hauptbahnhof Hannover stehen, „unterm Schwanz“, so nannte man den Treffpunkt beim Ernst-August-Denkmal, einem Reiterstandbild des Königs von Hannover. Er würde mich an meinem korallenroten Strickkleid und meiner lila Cordaktentasche erkennen.
Als ich nach meiner Arbeit am hellen Nachmittag auf dem Ernst-August-Platz stand, die lila Tasche vor dem Bauch, betrachtete ich plötzlich alle Männer als mögliche Kandidaten, jeder könnte es sein, denn ich wusste nicht, wie der junge Mann aussah, ich hatte es zugelassen, dass ich erkannt und ausgesucht wurde, mir gefiel diese Situation überhaupt nicht, ich will ja gar keinen Mann, beklommen ließ ich die Tasche hinter meinem Rücken verschwinden, überlegte noch kurz, dann drehte ich mich schnell um und rannte zum Bahnsteig, um meinen Zug nach Hause zu kriegen. Ich freute mich über meine Entscheidung und war sehr erleichtert.
Als ich zu Hause ankam, sagte meine Mutter, dass ein junger Mann angerufen hätte – ich weiß nicht mal mehr den Namen -, der mit mir verabredet wäre, er würde gleich vorbeikommen. Ich war entsetzt. Was sollte ich ihm sagen, ich hatte so gehofft, dieser peinlichen Begegnung nochmal entkommen zu sein. Meckerte mit meiner Mutter, warum hast du ihn nicht abgewimmelt.
Er kam. Wir saßen verunsichert in meinem Zimmer. Er war klein, hatte helle, feine spärliche Löckchen, die nah am Kopf klebten, war höflich, zurückhaltend und entsprach in keiner Weise meiner Vorstellung von einem Freund, mit dem ich eine Beziehung eingehen würde. Er erzählte, dass er zusammen mit seiner Mutter lebte und studierte, ich glaube, Lehramt. Wir stellten keine Gemeinsamkeiten fest. Die einzige war, dass er die Bücher von Edgar Wallace liebte, genau wie ich. Nach geraumer Zeit verabschiedeten wir uns freundlich.
Irgendwann bekam ich eine Ansichtskarte von ihm. Er las gerade „Der Frosch mit der Maske“.