29. März 2024
Ich habe wunderbare Freunde im Leben gefunden. Ich denke an Edo Zanki, der mich in diesem Lied begleitet.
Kati und Sandy
Kati und Sandy aus der zehnten Klasse
Im Schulzentrum in der Thälmanstraße.
Kati hasst deutsch und Sandy Mathematik,
Und beide stehn auf Rave und Techno und jede Art von Musik.
Die gleichen Haare, die gleiche Art sich zu kleiden,
Die gleichen Löcher in den Jeans, immer zusammen die beiden.
Zu Haus immer Zoff,zu Haus immer Krach,
Und ihre Zuflucht ist vom Supermarkt das Parkhausdach.
Zwischen Fahrstuhlhaus, Müllcontainern und Einkaufswagen.
Manchmal kann man das Leben nur noch hier oben ertragen.
Katis Mutter stresst den ganzen Tag für jede Kleinigkeit,
Sandys Vater hängt im Sofa schon am Mittag breit.
Und dann kommen seine fiesen, ekligen Sprüche,
Und Mutter hört die lustg’en Musikanten in der Küche.
Manchmal ist alles so sinnlos, hat alles keinen Zweck,
Manchmal sehnen sich die beiden weit, weit weg.
Weit weit weg aus diesem Film, raus aus der Kulisse,
Dem Parkhaus, dem Gestank von Autos und Pisse.
Und dann lässt Sandy schon mal zwei, drei von den Fläschchen mitgehn,
Die im Supermarkt körbeweis vor der Kasse stehn,
Die, die den lustigen Spaß im Glas verheißen,
Das reicht dann, um für ein paar Stunden auszureißen
Aus der Trostlosigkeit, aus dem Schrott, aus dem Schwund,
In eine Welt wie im Werbefernsehn, so schön und so bunt.
Kati und Sandy.
Kati kriegt ’ne fünf in Deutsch, ein Heidentheater
Und Sandy voll den Streß mit ihrem Vater.
Der grabscht sie an, der schlägt um sich im Zorn,
Und Sandy klaut ihm seine Flasche mit dem Apfelkorn.
Und die Volksmusik spielt und die Türen knallen
Und Sandys Schritte im Treppenhaus hallen
Im kahlen Betonschacht noch lange nach,
Und Kati wartet schon auf sie auf dem Parkhausdach.
Vor dem Graffitti beim Fahrstuhlhaus zusammengesunken,
Der Fröhlichmacher ist ausgetrunken.
Die Flasche rollt und scheppert im Treppenhaus,
Nein, es führt sie kein Weg aus diesem Elend hier raus.
Da ist keiner, der versucht sich einzuschalten,
Da ist keiner, der versucht, sie aufzuhalten,
Da ist auch kein Freund, der sagt: Komm mit, scheiß egal
Was bess’res als keinen Ausw,eg findest du allemal!“
„Wir machen alles zusammen!“, haben sie sich geschworen.
Aneinandergekauert, den Walkman in den Ohren,
Und die Nähe und die Wärme der and’ren tut gut
Auf dem zugigen Dach, und die Musik macht Mut.
Und sie halten sich wie Liebende bei den Händen,
Nur noch einen Schritt und alles wird sich wenden!
Und zusammen vom sechsten Parkhausdeck
Fliegen die beiden, weit, weit weg, weit, weit weg, weit, weit weg, weit, weit weg…
Kati und Sandy
Aus „Leuchtfeuer“, 1996
Foto © Hella Mey