26. April 2023
An meinen Bleistift
Du liegst so leicht in meiner Hand, und ich schreibe mit dir,
Mit deiner dunklen Seele meine Verse auf’s Papier.
Das haben du und ich wohl schon viel hundert Mal getan,
Schon manche Zeile sind wir zwei ein merkwürd’ges Gespann.
Du wirst zu meinen Liedern, und du verzehrst dich für mich.
Zeit für ein Dankeschön: Heut schreib ich eins mit dir für dich.
In langen, bangen Stunden hab ich an dir rumgekaut,
Hab dir an mir verzweifelnd meine Ängste anvertraut,
Doch irgendwann ist immer ein Gedanke aufgeblitzt,
Ich hab dich stumpf geschrieben und dich wieder angespitzt.
Und hab ich mich vergaloppiert und schrieb ich wie im Trance,
Ließ’st du dich ausradiern und gabst mir eine zweite Chance.
Verschwiegener, guter Gefährte meiner Einsamkeit,
Es zieht sich deine Fährte durch meine Lebenszeit!
Mal hart, mal weich, mal traurig, mal Güte und mal Gift,
Schwermütig oder zärtlich – wie der Herr, so der Stift.
Und manchmal, wie besessen, schrieb ich die ganze Nacht,
Und du hast unermüdlich gute Mine dazu gemacht.
Mein grün-weiß, längsgestreifter Freund, du hast dich aufgebraucht.
Hast dein ganzes Graphit in meinen Fingern ausgehaucht.
Und wenn mein alter Bleistifthalter dich auch nicht mehr hält,
Dann heißt’s wohl Abschied nehmen, Stummel, so ist die Welt!
Ich werd dich nicht vergessen, im Lied lebst du ja fort
Mit deinem Duft von Zedernholz. Hab Dank für jedes Wort!
Aus „Das Haus an der Ampel“, 2020
Foto © Hella Mey