Ein Bild, das ich nicht vergesse

Stephen Hawking weiß alles über die Welt, er versteht, warum das Unendliche sich zu immer Unendlicherem ausdehnt. Der Geist dieses Mannes begreift den Urknall, aber seine Hände vermögen nicht, ein Glas zu ergreifen und zum Mund zu führen. Ein genialer Verstand wohnt in einem Körper, der dessen Höhenflügen nicht einmal mit einem einzigen Schritt folgen kann. Der berühmteste Physiker der Welt kann die Schwerkraft erklären, aber das einfachste Experiment dazu – einen Stein zu Boden fallen zu lassen – ist ihm versagt. Stephen Hawkings weiß natürlich auch, dass sich die Schwerelosigkeit in einem Flugzeug auf einer parabelförmigen Flugbahn simulieren lässt. Doch hier erlebt er nun am eigenen Leib, was er zuvor nur aus Gedankenspielen kannte. Seit Jahrzehnten gefangen in Hilflosigkeit, schwebt er, befreit von der Gravitation. Für einen Augenblick ist er erlöst, ist sein Leib so wie sein Geist, der geniale Verstand eins mit seinem schwebenden Körper. Stephen Hawking ist frei. Ich glaube, ein Lächeln in seinem Gesicht zu sehen, kindliche Freude, die ich als Dankbarkeit deute und Glück: „Ich habe es erträumt, ich habe es erdenken können, ich habe es gewusst. Jetzt habe ich es erlebt, ja, ich habe es erlebt!“

Für den Stern „Stern“, Dezember 2011

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