Weisheit in Musik gehüllt
Reinhard Mey braucht die große Show nicht. Er blickt gern in die freundlichen Gesichter seiner Zuhörer, die er als Freunde betrachtet. Man spürt, dass er die Begegnung mit seinem Publikum genießt, weil er sie braucht. Diese Begegnung ist die Belohnung für die einsamen Stunden, in denen seine Lieder entstehen. Denn es ist ja eine einsame Berufung, der er nachgegangen ist, seit die Eltern so besorgt fragten „Reinhard, Reinhard, was soll nur aus dir werden…?“ Ein „Spielmann“ ist er geworden, glücklicherweise. Und viel mehr als das. Es ist ein Konzert, das tief in die Wahrheit des Lebens geht, Weisheit in Musik gehüllt, denkbar schlicht und daher umso intensiver dargeboten: ein Mann, eine Gitarre, ein Scheinwerfer. Keine weitere Ablenkung. Entstanden ist das Live-Album „Dann mach’s gut“ 50 Jahre nach dem ersten Bühnenauftritt.
„‘n Abend“ ist eines der neuen Lieder auf diesem Album. Es enthält nicht nur eine Zauberformel gegen das ewig quälende Lampenfieber, sondern führt das Publikum auf amüsante Weise hinein in das Innenleben des Menschen, der sich da oben auf der Bühne gerade so klein fühlt. Dabei wird den Zuhörern ziemlich rasch klar, dass da ein ganz Großer noch größer geworden ist.
Ja, Reinhard Mey hat den Mut zu zeigen, wie sich sein Horizont geweitet hat. In seinem Mikrokosmos hat er alles gefunden, was wichtig ist in der Welt. Und auch scheinbar nebensächlichen, tatsächlich aber völlig unersetzlichen Dingen hat er melodiöse Denkmale gesetzt. „Das Taschentuch“ zum Beispiel, spielt an diesem Abend nicht nur im Lied davon eine Rolle.
Es sind auch stumme Tränen geflossen bei diesem Konzert. „Dann mach’s gut“ erzählt von einem letzten unbeschwerten Abschied, von der tiefen Sehnsucht nach einem im Nachhinein als selig empfundenen Zustand, der gleichwohl seinen Zauber verloren hätte, wären die Schatten schon erahnbar gewesen. Das Titellied wirbt auch darum, das Glück, das man hat, bewusster zu schätzen, tiefer zu empfinden, weil man nie wissen kann, wann es vergeht. „Lass nun ruhig los das Ruder…“, ein wunderschönes, helles Sterbelied, ist getragen von einer bis ins Letzte positiven Lebenshaltung, die der Versuchung des Haderns widerstehen kann, auch wenn sie übermächtig erscheint. Unter Freunden muss man nichts erklären, keine großen Worte machen, man wird auch so verstanden. Das Publikum kennt den Menschen Reinhard Mey aus seinen Liedern. Und das reicht wohl, um ihn ziemlich gut zu kennen. Auch wenn er immer wieder auf den Spitzen der Charts gelandet ist, steht auf der Bühne kein glitzernder Popstar, sondern ein ernsthafter Künstler mit einer immer wieder neu überraschenden Begabung zu Ironie und Selbstironie.
Er hat einige der besten Lieder aus den 50 vergangenen Jahren mit ins aktuelle Programm genommen, darunter Ikonen wie „Gute Nacht, Freunde“, das rituelle Abschiedslied, und „Über den Wolken“, das, wie kein anderes, seine Kindheitsträume symbolisiert. Die lustigen Lieder der frühen Jahre hat er außen vor gelassen, sonst hätte zum „Biker“ mit seiner späten Reue natürlich auch die witzig spöttelnde Ode an „Annabelle“ gehört. Trotzdem war es ein Abend, an dem viel gelacht wurde, besonders auch über das zweite neue Lied „Man kann nicht immer nur die Wahrheit sagen“, in dem der Spielmann seine komödiantische Seite zeigt.
Dieses Album ist ein Resümee, das die ganze Spannbreite des Lebens umfasst, von dem wunderbar melodiösen Begrüßungslied für den neugeborenen Enkel, „Fahr dein Schiffchen durch ein Meer von Kerzen“, bis zur späten Zufriedenheit über ein gradlinig gelebtes Leben in der coolen Country-Nummer „Wolle“. Die Geborgenheit der Kindheit kommt vor in „Viertel vor Sieben“, wobei Reinhard Mey bei Live-Auftritten seinen aktuellen Seelenzustand immer wieder präzisiert durch Anleihen bei anderen Dichtern, hier mit einer Strophe von Wolfgang Borchert. Die große, unvergängliche Liebe interpretiert er in „Wenn du bei mir bist“, das Streben nach Höhe und Weite in „Lilienthals Traum“, die Würde des Menschen in „Vaters Mantel“. Das Konzert handelt von Freundschaft, von glücklicherweise vergeblichen Wünschen an die „liebe gute Fee“, aber auch, in einem beglückt wirkenden Rhythmus, von den Spangen und Schleifen und Bändern der Tochter.
Und im „Narrenschiff „oder in „Gute Kühe kommen in den Himmel“, blitzt der politische Reinhard Mey hervor, der treffsicher und viel zorniger Kritik üben kann, als seine sanfte Aura das auf Anhieb vermuten lässt. Ja, er ist wachsam geblieben. Hat in seinen 50 Bühnenjahren jenen Teil der Berufung nicht vergessen, der zum Liedermacher eben auch gehört: die Stimme klangvoll zu erheben dort, wo etwa entfesseltes Machtstreben und überbordende Gier das Leben auf die falsche Bahn bringen. Bei diesem großen Resümee könnte er es belassen. Glücklicherweise scheint es fast unmöglich, dass er das kann.
Dr. Elisabeth Binder