13. Februar 2023
Liebe Antje, wir haben ja beide das Manifest für den Frieden unterschrieben und bekommen teilweise heftigste Reaktionen, darunter Aggression, Häme und bösartige Unterstellungen. Wie geht es Dir damit?
Ach, Reinhard, mich verwundert das nicht so sehr. Dieser Krieg kommt ja wie ein mentaler Tsunami über alle und rührt an die tiefsten Ängste von allen. Gleichzeitig bietet sich nirgendwo ein Ausweg an, eine Perspektive, eine Hoffnung. Die Gefahr ist riesengroß, dass wir alle immer tiefer in eine apokalyptische Situation hineingezogen werden, die den ganzen Planeten gefährdet. Es ist gar nicht so lange her, da meinten wir, der Kalte Krieg ist endgültig vorbei, und Europa ersteht neu als ein friedliches Zentrum einer Welt, die sich um ihr eigenes Überleben sorgt. Und jetzt sind wir weiter davon entfernt als in den 70er Jahren.
Aber warum wirkt gerade ein Aufruf zum Frieden so provozierend?
Weil er das Schwierigste ist in so einer Situation. Weil das Wachrufen von alten Feindbildern immer so nahe liegt. Schon Gandhi und Nelson Mandela wussten, dass es besonders schwer ist, wenn der Hass einmal ausgebrochen ist, auch die Feindbilder im eigenen Kopf zu besiegen. Für uns beide aber ist es in dieser Situation wichtig, uns selbst treu zu bleiben und wiedererkennbar für unsere Freunde zu sein. Solange ich denken kann, war der Krieg das Schlimmste, das ich mir vorstellen konnte. Dieses unselige Vernichten von kostbaren Menschenleben. So viele Millionen, die alle eine Chance zum Dasein verdient hätten. Die Ehrfurcht vor dem Leben kann doch kein anderes menschliches Ziel auslöschen, keine Ideologie, keine Macht der Erde.
Für mich war seit ich denken kann, auch immer bestimmend, dass wir Deutschen nach zwei Weltkriegen eine besondere Schuld am Schicksal Europas tragen. Wie können wir je vergessen, was unsere Nachbarn, die Polen, die Ukrainer, aber eben auch die russischen Völker durch uns erlitten haben. Das prägt für immer, das ist nicht auslöschbar.
Und mit diesem Gefühl sind wir doch nicht allein. Dass hunderttausende Menschen in so kurzer Zeit auch das Manifest unterschrieben haben, ist für mich ein Hoffnungszeichen, auf das ich vertraue. Wir erhalten wahnsinnig viel Zuspruch und Dankbarkeit. Man merkt, sie haben darauf gewartet, dass endlich dieser ständig wachsenden Kriegsbereitschaft etwas entgegengesetzt wird aus der Mitte der Gesellschaft. Und wenn ein einzelner Brief so viel Gegenwehr erzeugt, ist das auch ein Zeichen, wie viel Bedeutung ein richtiges Wort zur richtigen Zeit hat.
Danke, meine Liebe, lass uns zuversichtlich und friedfertig bleiben.
PS: Ich möchte dem Gespräch mit meiner Freundin Antje noch ihr Vermächtnis anhängen: Was ich noch zu sagen hätte, Vermächtnis einer Pazifistin
Fotos © Hella Mey