24. Juli 2022
Alle Soldaten wolln nach Haus
In K-Town, tief in Western-Germany,
Zwischen Automarkt und Straßenstrich, in der Prairie
Steht Gabys Pizza-Palace, und da beißt der GI
Frank Kowalski aus Fort-Worth in seine Pizza-Pie.
Und er trinkt, bis ihm der Kopf auf die Theke fällt
In K-Town, Western-Germany, am Ende der Welt.
In Texas ham sie zwei Uhr Nachmittag.
Wie hoch im Westen jetzt der Weizen stehen mag?
Und über Gabys Pizza-Palace steht der bleiche Pfälzer Mond,
Und Kowalski ist jetzt endlich total zu und stoned.
„Fuck the Army“ lallt er schwankend und fällt dabei
Glatt auf den Knüppel der Militärpolizei.
Alle Soldaten wolln nach Haus,
Alle Soldaten wolln nach Haus.
Sie wolln die Uniform nicht mehr,
Den Stahlhelm und das Schießgewehr
Und auch nicht in den Kampf hinaus.
Soldaten wolln nur eins: Sie wolln nach Haus!
Bei Potsdam in der russischen Garnison
Streicht Igor in marxistischer Tradition
Die Kasernenmauer an in lebensfrohem Grau.
Die Farbe platzt gleich wieder ab, na klar, das weiß er genau.
Igor fährt Panzer, und wenn er nun den Pinsel schwingt,
Dann, weil sein Schrotthaufen in Friedenszeiten nie anspringt.
Vielleicht kommt das Ersatzteil eines Tags mit der Bahn
An seinem Dorf vorbei im fernen Eriwan.
Da sitzen sie jetzt hinterm Ofen, und er streicht hier allein,
Und die Mütze ist so groß und seine Jacke so klein,
Und das Brudervolk lacht über ihn hinter der Hand,
Und ihm geht‘s wie dem Genossen einst am Wolgastrand!
Alle Soldaten wolln nach Haus,
Alle Soldaten wolln nach Haus.
Sie wolln die Uniform nicht mehr,
Den Stahlhelm und das Schießgewehr
Und auch nicht in den Kampf hinaus.
Soldaten wolln nur eins: Sie wolln nach Haus!
An der Grenze, die durch Deutschland und Deutschland geht,
Steht der NVA-Gefreite Jochen M. und steht.
Und da steht er im Regen, und er steht aufm Schlauch,
Und er steht sich die Beine in den volkseignen Bauch.
Und jetzt, wo hier keiner mehr in den Westen abhaut,
Von drüben keiner kommt und hier den Sozialismus klaut,
Wo kein Hund mehr nach der Grenze bellt, vergisst der Soldat
Ab und zu schon mal den Arbeiter- und Bauernstaat.
Dafür kommt ihm dann die junge Brigadeführerin
Aus der LPG 9. November in den Sinn.
Und er träumt sich mit ihr an den schönsten Platz der Welt:
In eine Datsche am Stadtrand von Bitterfeld.
Alle Soldaten wolln nach Haus,
Alle Soldaten wolln nach Haus.
Sie wolln die Uniform nicht mehr,
Den Stahlhelm und das Schießgewehr
Und auch nicht in den Kampf hinaus.
Soldaten wolln nur eins: Sie wolln nach Haus!
19 Jahre alt ist Hinnerk Harms aus Leer.
Er hat anderthalb Jahre Bi-ba-bundeswehr.
Und die sind für ihn wie anderthalb Jahre Knast.
Es ist bitter zu wissen, was er draußen verpasst!
Während er hier einen streng geheimen Schlagbaum bewacht
Wird da draußen getanzt und geliebt und gelacht.
Dafür lernt er endlich, wie man in die Pfütze fällt,
Wie man Männchen macht und Händchen an die Mütze hält.
Und Hinnerk Harms aus Leer, Ostfriesland, ist total frustriert,
„Mann, das nervt zu spürn, wie man hier seine Zeit verliert!“
Vielleicht in seinem ganzen Leben die beste Zeit
Für nichts und wieder nichts und Leer, Ostfriesland, ist weit!
Alle Soldaten wolln nach Haus,
Alle Soldaten wolln nach Haus.
Sie wolln die Uniform nicht mehr,
Den Stahlhelm und das Schießgewehr
Und auch nicht in den Kampf hinaus.
Soldaten wolln nur eins: Sie wolln nach Haus!
Der Präsident will auf dem roten Teppich gehn,
Der Kriegsminister eines Tages sein Denkmal sehn,
Der Rüstungsbonze will, dass alle Räder rolln,
Und jeder von den dreien will, dass die Soldaten das wolln.
Aber die das nicht mehr wollen, werden jeden Tag mehr,
Und die Hoffnung, dieser Traum, ist gar nicht so verquer,
Frank Kowalski nimmt den Ghetto-Blaster, setzt sich in Marsch,
Hinnerk Harms schnürt den Persilkarton und sagt: „ …“ sagt er barsch.
Jochen M. eilt in die LPG zu seinem Schatz
Und meldet sich zum freiwilligen Ernteeinsatz.
Igor fällt mit einem Stoßseufzer der Pinsel aus der Hand,
Ja, Freunde, das, das ist der wahre Dienst am Vaterland!
Alle Soldaten wolln nach Haus,
Alle Soldaten wolln nach Haus.
Sie wolln die Uniform nicht mehr,
Den Stahlhelm und das Schießgewehr
Und auch nicht in den Kampf hinaus.
Alle Soldaten wolln nach Haus,
Am liebsten gleich und schnurstracks gradeaus.
Soldaten sind, man glaubt es nicht,
Aufs Sterben gar nicht so erpicht
Und auch nicht auf das „Feld der Ehre“ aus,
Soldaten wolln nur eins: Sie wolln nach Haus!
Danke Klaus Hoffman, Heinz Rudolf Kunze und Hans Scheibner
Aus „Farben“, 1990
Fotos © Hella Mey